Samsung-Galaxy in der Provinz
Der Bau eines Samsung-Smartphone-Werkes in Vietnam katapultiert einen kleinen Ort in rasanter Geschwindigkeit in die Neuzeit
Der Ort Bac Ninh im Norden Vietnams, 30 Kilometer von Hanoi entfernt, war vor zehn Jahren noch eine verstaubte Kleinstadt. Es liegt im Delta des Roten Flusses, das traditionell stark landwirtschaftlich geprägt ist. Bäuerinnen und Bauern bauten dort Reis und Karotten an und lebten sprichwörtlich von der Hand in den Mund. Fiel die Ernte schlecht aus, nagten sie - beispielsweise Mitte der achtziger Jahre - am Hungertuch.
Das hat sich grundlegend geändert. Vor allem weil Samsung, Südkoreas größter Mischkonzern, auf der grünen Wiese 2008 rund 2,5 Milliarden US-Dollar in ein Mobiltelefonwerk investierte. Das Unternehmen, das neben Smartphones auch Schiffe, Hochhäuser, Autos und Lebensversicherungen verkauft und im vergangenen Jahr mehr als 200 Milliarden Euro Umsatz gemacht hat, stellte im Jahr 2016 rund die Hälfte aller weltweit verkauften Samsung-Mobiltelefone in Bac Ninh her. Neben Smartphones kommen auch Batterien und Akkus dorther. Neben Samsung ließen sich auch 60 Zulieferbetriebe nieder von denen 55 ausländische, in der Regel koreanische Unternehmen sind. „Aus dem Nichts ist ein regionales Produktionssystem entstanden, das mehr als 90 000 Arbeitskräfte beschäftigt“, sagt Wirtschaftsgeograf Javier Revilla Diez. Mit Samsungs Unterstützung ist Bac Ninh das Zentrum der Rundfunk-, Fernseh- und Nachrichtentechnik des Landes und Teil der internationalen Wertschöpfungskette von Mobiltelefonen geworden.
Vietnam lockt nicht nur Samsung, sondern auch andere Technikkonzerne wie LG oder Canon und konkurriert damit mit dem großen Nachbar China. Im Gegensatz zum Reich der Mitte sind die Lohnkosten noch niedriger, die Bürokratie für Großinvestoren geringer. Parallel zu Samsungs Fabrik wurde etwa eine neue Autobahn eröffnet, mit der der Elektronik-Riese seine Handys schnell exportieren kann. Am Regionalflughafen von Bac Ninh bekam Samsung sein eigenes Cargo-Terminal.
Es ist diese Art von stürmischen Strukturwandel, die den Wirtschaftsgeografen Revilla Diez interessiert: Wer profitiert von dem Wandel? Ist der Umschwung vom agrarisch strukturierten Gebiet zur hochindustrialisierten Wirtschaftsregion nachhaltig? Profitiert das Land Vietnam davon? „Im Gegensatz zur chinesischen Industrialisierung lässt Vietnam ausländischen Unternehmen sehr viel Freiraum. Es gibt beispielsweise in vielen Industriebranchen keine Pflicht einen inländischen Partner mit ins Boot zu holen“, sagt Revilla Diez. Gingen in der Vergangenheit die ausländischen Investitionen vor allem in den Süden des Landes, gewinnt nun der Norden an Attraktivität. Das Beispiel Samsung zeigt, dass ausländische Unternehmen Standorte bevorzugen, die kein sozialistisches Erbe etwa in Form von Staatsbetrieben haben. Denn obwohl formal keine Diskriminierung privater Unternehmen staatfinden darf, genießen stattliche Betriebe an einigen Standorten nach wie vor eine Vorzugsbehandlung – vor allem in Nordvietnam, wo seit 1954 bis zum Beginn der wirtschaftlichen Erneuerung in 1986 eine Planwirtschaft nach sowjetischem Vorbild herrschte.
Für die einstig verschlafene Kleinstadt Bac Ninh hatte Samsungs Milliarden-Investition Konsequenzen: Es ist in der Folge auf 272 000 Einwohner_innen angewachsen, die Region zählt sogar eine Million Menschen. Rund 2000 Restaurants und Hotels sind alleine seit 2011 entstanden. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von Bac Ninh liegt mittlerweile drei Mal so hoch wie der Durchschnitt Vietnams.
Erste Schattenseiten des Booms zeigte sich im vergangenen Jahr als Samsungs Smartphone-Spitzenmodell Galaxy 7 mit explodierenden Akkus Schlagzeilen machte und zurückgezogen werden musste. Für immerhin rund 20 Prozent der vietnamesischen Exporte sind die Südkoreaner_innen verantwortlich. Hat Samsung einen Schnupfen, hustet die Wirtschaft des Landes Vietnam: Das Bruttoinlandsprodukt stieg im ersten Quartal 2017 nur um 5,1 Prozent statt um mehr als sechs Prozent im Quartal zuvor. „Ob diese Abhängigkeit auf Dauer gesund ist, kann man bezweifeln. Wenn es nicht gelingt, einheimische Unternehmen mit in die Wertschöpfungskette zu integrieren, besteht die Gefahr, dass bei steigenden Löhnen die Karawane weiterzieht“, sagt Revilla Diez. Mittlerweile hat sich Samsung dank neuer Modelle und damit auch Vietnams Bruttoinlandsprodukt wieder erholt. Und gerade fließen weitere drei Milliarden US-Dollar in ein zweites Smartphonewerk.
Von Jürgen Rees