Die Erfindung des Aquariums in der Mitte des 19. Jahrhunderts weckte den Wunsch, ein Stück ‚Natur‘ zu Hause nachzubilden: eine kontrollierte ‚Miniaturwildnis‘ mit einigen selbstregulierenden Eigenschaften. Die frühen Importe von tropischen Fischen nach Europa und in die USA waren aufgrund begrenzter Technologien und der langen Transportwege mit einer hohen Sterblichkeitsrate verbunden. Organisatorische und technologische Verbesserungen förderten den Prozess der Kommerzialisierung, und der Handel mit tropischen Fischen wurde professioneller. Diese Fortschritte ermöglichten es auch, mehr Süßwasserarten in Gefangenschaft zu züchten, was zu einem Anstieg des Angebots an tropischen Fischen auf den europäischen und nordamerikanischen Märkten führte. Heute sind mehr als die Hälfte aller lebenden Wirbeltiere im weltweiten Handel Zierfische. Zwischen 2000 und 2500 Süß- und Meerwasserarten werden regelmäßig gehandelt, aber nur 30 Süßwasserarten dominieren den Weltmarkt. Dies spiegelt nicht nur einen hohen Grad an Standardisierung bei den gehandelten und gehandelten Arten wider, sondern auch die wichtige Rolle internationaler Zuchtstandards für beliebte Arten. Standardisierungsprozesse lassen sich in mindestens drei Bereichen beobachten: (1) Zuchtstandards, (2) Verpackungsstandards für den Luft- und Landtransport, (3) die Übernahme von Industriestandards durch Zuchtbetriebe u. Ä. Der Handel wird über ein Netzwerk dominanter Handelszentren kanalisiert und kontrolliert: v. a. Singapur, Frankfurt, Amsterdam, Miami, Los Angeles. Die vorhandenen Studien über den Handel mit Zierfischen haben wichtige Erkenntnisse über die Geographie des Handels und die Bedeutung der verschiedenen Arten geliefert. Wenig Aufmerksamkeit wurde jedoch den damit verbundenen lokalen und globalen Wertschöpfungsketten gewidmet. Die Kommerzialisierung des Zierfischhandels wirft eine Reihe ökologischer, moralischer und sozialer Fragen auf, wie z. B. die Schädigung von Ökosystemen, transportbedingte Sterberaten oder auch den Schutz der Lebensgrundlage von Kleinfischern und -züchtern. Der Schwerpunkt dieses Projekts liegt auf den Prozessen der Kommodifizierung und der Entwicklung von Standards, die damit zusammenhängen. Konzeptionell spiegelt die Forschung sowohl diskursive als auch nicht-anthropozentrische (Multi-Spezies) Perspektiven wider. Ziel ist es, zwei teilweise konkurrierende Arten von Wertschöpfungsketten für Zuchtfische und für Wildfänge zu untersuchen. Die Methodik basiert hauptsächlich auf qualitativen Interviews mit Akteuren entlang der Wertschöpfungsketten in (1) Singapur und benachbarten Fischzuchtgebieten (Zuchttiere), (2) Tansania (Wildfänge) sowie (3) Frankfurt und Amsterdam (Importeure, Großhändler). Zusätzlich zu diesen Interviews werden führende Aquaristik-Zeitschriften ab den 1870er Jahren analysiert, um eine tiefere historische Perspektive auf Kommodifizierungs- und Standardisierungsprozesse zu erhalten. Diese Analysen sollen tiefere Einblicke in das sich wandelnde Verständnis von tropischen Fischen als etwas Natürliches, Authentisches oder Wildes oder als domestizierte Haustiere geben.
Das Projekt ist eng verbunden mit einem weiteren DFG-finanzierten Projekt aus der Ethnologie von Clemens Greiner (Köln) and Eric M. Kioko (Nairobi/Bonn): S(m)elling the "Wild“: Die politische Ökologie ätherischer Baumöle und die Produktion olfaktorischer Ressourcen.
Förderung: DFG seit 2024
https://commodifying-the-wild.de/