Lukratives Geschäft
Kölner Studierende untersuchen die Folgen des Sojaanbaus in Argentinien
Grau, manchmal eiförmig, meist kugelig sieht sie aus. In ihrem Innern hat sie viel wertvolles Eiweiß und Öl gespeichert: Die Sojabohne ist die weltweit wichtigste Ölsaat, deren Bedeutung bei der Nahrungsmittelproduktion ständig zunimmt – als Tofu, Sojamilch oder Sojasoße, aber vor allem als Viehfutter in der industriellen Tierhaltung.
Nach den USA und Brasilien ist Argentinien der weltweit drittgrößte Soja-Exporteur und hat die Rinderzucht wertmäßig längst überflügelt. Soja steht dort wie kaum ein anderes Agrarprodukt für den Wandel von einer traditionellen, auf Familienbetrieben basierenden argentinischen Landwirtschaft zu kapitalintensiven agroindustriellen Strukturen.
Für den Wirtschaftsgeografen Javier Revilla Diez von der Universität zu Köln und acht Studierende war das Anlass genug, das Phänomen Soja in Argentinien selbst zu ergründen. Diese Feldforschung der Uni Köln zusammen mit der Partneruniversität San Martín in Buenos Aires unterstützt der DAAD im Rahmen des thematischen Netzwerkes "Remapping the Global South - Teaching, Researching, Exchanging", das vom Global South Studies Center beantragt wurde.
Der wissenschaftliche Nachwuchs interessiert sich dabei für drei Themen: Welche Auswirkungen hat der zunehmende Einfluss der Finanzmärkte auf die Sojaproduktion? Findet eine Wertschöpfung im Land etwa durch die Verarbeitung zu Sojamehl statt? Wie hat sich die Produktion verändert und verdrängt sie Kleinbauern?
Die Sojafelder in der Pampa humeda, dem agrarischen Kernland Argentiniens, sind riesig: Im Durchschnitt umfassen die Anbaugebiete in Argentinien fünf Quadratkilometer, also 500 Hektar. Unter einer Fläche von 40 Hektar lohnt sich der Sojaanbau nicht.
Schnell erkennen die Studierenden: „Mit kleinbäuerlicher Landwirtschaft hat der Sojaanbau in Argentinien nichts mehr zu tun“, sagt Annika Fahr, angehende Geografin. „Viele Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vermieten ihr Land Jahr für Jahr an Produzenten und ziehen selbst in die Städte“, sagt Stefan Schreinemacher, Geografie-Student. Bezahlt werden sie meist mit einem prozentualen Anteil an der Ernte und tragen somit die Risiken einer schlechten Ernte und schwankender Weltmarktpreise mit. Bei den Studierenden wuchs im Laufe ihres Argentinienaufenthaltes die Erkenntnis, wie sehr die argentinische Regierung durch ihre Politik die Modernisierung der Landwirtschaft und somit die Entvölkerung des ländlichen Raums forciert hat. Wissenschaftler_innen sprechen bereits von einer „Landwirtschaft ohne Landwirte“ (agricultura sin agricultores).
Zu den Nutznießenden des wachsenden Agrargeschäfts gehören die großen Konzerne, die Saatgut, Herbizide und Düngemittel anbieten. Die Sojaproduktion in Argentinien besteht heute fast ausschließlich aus gentechnisch modifiziertem Saatgut. Nachdem der US-Saatgutriese Monsanto, der gerade von Bayer übernommen wird, 1995 im marktliberalen Argentinien das erste Roundup-Ready Sojasaatgut präsentiert hatte, wurde das Land zu einer Art Biotechnologie-Labor unter freiem Himmel. Hersteller wie Monsanto, Syngenta, Bayer oder BASF verkaufen den Erzeuger_innen ganze Pakete aus Saatgut, Herbizide und Düngemittel.
Die Sojasaison beginnt im Herbst: Im Oktober säen die Agrarunternehmen ein, im März können sie die Bohnen ernten. Neue Anbaumethoden haben die Produktivität in den vergangenen Jahrzehnten enorm gesteigert. Die Produzent_innen bearbeiten das Ackerland heute fast ausschließlich im Direktsaatmodell. Dabei ritzen Maschinen die Erde nur wenige Zentimeter tief auf, bringen das Saatgut ein und verschließen die Erde wieder. Der Verzicht aufs Pflügen vermindert die Erosion des Bodens und spart Arbeitszeit. Zudem setzen die Bäuerinnen und Bauern Informationstechnologie ein, um per GPS-Signale die Bodeneigenschaften zu untersuchen und den genauen Bedarf an Saatgut, Düngemitteln und Chemikalien zu ermitteln.
Trotz aller Fortschritte beklagen Umweltgruppen die Belastung durch Herbizide, Düngemittel sowie einen erheblichen Rückgang der Biodiversität. Nach Studien verschiedener Organisationen wie beispielsweise der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind 250 Tierarten und 100 Pflanzenarten verschwunden. Zudem gibt es Klagen über eine Häufung von Krebserkrankungen in Regionen, die mit dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat belastet sind.
Stolze Rendite
Doch der Sojaanbau ist lukrativ in dem krisengeschüttelten Land. Den Studierenden der Uni Köln gegenüber räumte ein Produzent, der seinen Namen nicht veröffentlicht wissen will, ein, dass die Umsatzrendite in Jahren mit guter Ernte bei stolzen 30 Prozent liege. Der Staat verdient mit Ausfuhrzöllen von rund 30 Prozent auf Soja ebenfalls kräftig mit. Obwohl die Sojaproduktion damit vor allem seit Anfang der 2000er Jahre zu den rentabelsten Bereichen der argentinischen Ökonomie gehören, zählen die Stundenlöhne der Landarbeiter_innen im nationalen Vergleich zu den niedrigsten. Schwarzarbeit und extrem lange Arbeitstage sind zudem häufig.
Obwohl das weltweite Interesse des Finanzsektors an profitablen Anlagemöglichkeiten in der Landwirtschaft zunimmt, spielt Argentinien als Spekulationsort keine Rolle. „Argentinien war lange von den internationalen Finanzmärkten abgeschottet“, begründet Revilla Diez die Zurückhaltung. Nur langsam fassten internationale Finanzinstitutionen Vertrauen. Die lokalen Finanzakteur_innen erhoffen sich zukünftig mehr Engagement aus dem Ausland, um die Liquidität im Markt zu erhöhen.
Was passiert mit dem erwirtschafteten Geld? Außer den Steuern kommt der heimischen Wirtschaft das Geld kaum zu gute. Immer wieder begegnete den Studierenden das tiefe Misstrauen der Argentinier_innen den Banken und dem Staat gegenüber: „Keiner bringt das Geld auf die Bank, die das dann für Investitionen beispielsweise in die marode Infrastruktur verleihen könnte“, sagt der Student Fabio Pruss. Denn viele Straßen entpuppen sich bei genauem Hinsehen als Feldwege, über die die Lkws im Schneckentempo rumpeln. Deswegen ist der Transport der Sojabohnen vom Feld zum argentinischen Hafen genauso teuer wie der anschließende Transport per Schiff nach China. Und die gewerkschaftlich gut organisierten und ordentlich bezahlten Lkw-Fahrer_innen behindern den dringend nötigen Bau von Eisenbahnlinien.
„Die Produzenten stecken ihre Gewinne stattdessen lieber in Häuser oder teure Autos, denn Investitionen in eine tiefere Wertschöpfung wie zum Beispiel Silos, mit denen man Preisschwankungen am Weltmarkt aussitzen könnte, oder in eine weiterverarbeitende Industrie scheuen sie“, sagt Revilla Diez. Und das nicht ohne Grund. Denn zu unsicher war die Politik der vergangenen Jahrzehnte, die beispielsweise im Krisenjahr 2001 die Dollar-Guthaben der Argentinier_innen eingefroren hatte. „Mir ist in Argentinien noch einmal richtig klar geworden, wie wichtig stabile verlässliche politische Verhältnisse für eine Wirtschaft und die Menschen sind“, sagt Studentin Fahr.
Von Jürgen Rees