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Gärtnern als Systemkritik

Am Beispiel von vietnamesischen und deutschen Gartenprojekten zeigen die Kölner Forscher_innen, dass in beiden Ländern vor allem die Mittelschicht zur Harke greift und der urbane Gemüseanbau auch eine Kritik an den Stadtplanern ist.

„Rau sạch, rau an tòan“ – „sauberes und sicheres Gemüse“, egal ob im Restaurant oder beim selbst gekochten Mittagessen, in Vietnam ist die Frage eigentlich immer: woher kommt das Gemüse?“, sagt Kurfürst. In der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi hat die Asienwissenschaftlerin eine Vielzahl von urbanen Gärten besucht und ist dort auf eine verunsicherte Mittelschicht getroffen, die zur Harke greift, um sich so unabhängig wie möglich vom Angebot der Supermärkte und Straßenhändler zu machen. „Sie können es sich zwar leisten im Supermarkt  einzukaufen“, sagt Kurfürst. „Aber sie vertrauen nicht in die Qualitätssicherung der Nahrungsmittelversorgung. Sie sorgen sich um ihre Gesundheit und fürchten eine zu hohe Belastung durch Pestizide und Herbizide.“ Im Fokus stehen dabei Importe aus China, aber auch heimische Produkte aus dem Umland der Großstädte. Seit dem Choleraausbruch 2007 fürchten außerdem viele mangelnde Hygiene, gerade an Marktständen und bei Straßenhändler_innen.

Wer kann, baut auf dem eigenen Hausdach Gemüse an. „Die flachen Dächer der weit verbreiteten, schmalen 'tube houses' werden schon seit langem als Dachgärten genutzt“, führt Kurfürst aus. „Traditionell wurden dort wertvolle Bonsaibäume kultiviert, von denen sich auch auf den Wohlstand der Bewohner_innen schließen ließ.“

Sich komplett selbst zu versorgen schaffen die wenigsten, doch weil das Bedürfnis nach sauberem und sicherem Gemüse so groß ist, werden auch immer mehr Brachflächen genutzt. „Meist in großen Mittelklasse-Neubausiedlungen eignen sich die Anwohner_innen freie Flächen einfach an“, so Kurfürst. Oft gebe es schon ein Bauprojekt. Aber solange nicht mit den Bauarbeiten begonnen wird, sei es in Ordnung, wenn die Leute aus der Nachbarschaft dort ihr Gemüse anbauen. Trotz der informellen Entstehung, unterliegen die Gärten aber einer starken nachbarschaftlichen Kontrolle. Nur wer anbaut, darf auch ernten.

Gemüseanbau in Hanoi, Vietnam, Foto: Sandra Kurfürst

Es wird im öffentlichen Raum gegärtnert und geerntet, aber einen Gemeinschaftsgarten, der die Menschen auch über die Gartenarbeit hinaus miteinander verbindet, hat Kurfürst in Hanoi trotzdem nirgendwo gefunden. Letztlich passe das sehr gut zur vietnamesischen Gesellschaft, so Kurfürst. „Denn obwohl das Kollektiv im Konfuzianismus sehr groß geschrieben wird, geht es eigentlich nicht über die Familie oder den Haushalt hinaus.“

Die Rückbesinnung auf Subsistenz ist in Vietnam sehr individuell motiviert. Kurfürst sieht darin aber trotzdem durchaus eine politische Entscheidung. „Es ist bemerkenswert, dass sich die Menschen in Vietnam bereits knapp 30 Jahre nachdem sich das Land der ökonomischen Liberalisierung geöffnet hat, wieder aus diesem zuerst sehr willkommen geheißenen Weltmarkt zurückziehen.“

Auch deutsche gemeinschaftliche Gartenprojekte, die der Kölner Geograf Alexander Follmann untersucht, kritisieren neoliberale Strukturen. "Seit etwa zehn Jahren entwickelt sich in Deutschland eine neue Generation von Gärten“, so Follmann. „Projekte, wie die Prinzessinengärten in Berlin, der Stadtgarten in Nürnberg oder NeuLand in Köln waren von Anfang an politisch. Die sind ganz bewusst auf umkämpfte Grundstücke gegangen, in der Absicht der neoliberalen Stadtplanung etwas entgegenzusetzen.“

Die Entwicklung von NeuLand erforscht und dokumentiert Follmann seit mit einer Guerilla-Gardening-Aktion im Sommer 2011 der erste Spatenstich getan war. Seither stehen die Gartentore immer offen und es wird alles gemeinschaftlich genutzt und geteilt. „Den Gründern des Gartens ging es eigentlich weniger um die tatsächliche Ernte“, sagt Follmann. „Über den Garten sollten Menschen für Stadtentwicklung interessiert und letztlich politisiert werden.“ Doch die politisch motivierten Gründer des Gartens haben das Bedürfnis nach Ernte unterschätzt.

Bei NeuLand gärtnern vor allem gut ausgebildete Menschen, oft mit Kindern und mittlerem Einkommen, die zwar nicht finanziell auf die Ernte angewiesen sind, sich aber durchaus eine gewisse Unabhängigkeit von Supermärkten und globalen Wertschöpfungsketten verschaffen wollen. „Auch ohne problematische Lebensmittelsicherheit, wie in Vietnam, wächst hierzulande ebenfalls das Bedürfnis zu wissen, wo das Gemüse herkommt, das auf dem eigenen Teller landet. „Und über diese Motive hinaus sind auch bei NeuLand eben nicht alle politisch“, resümiert Follmann. „Aber sie leben die Gemeinschaft und würden sich vermutlich weiter politisieren, wenn die Existenz des Gartens bedroht wäre“, davon ist Follmann überzeugt. „Eine Entwicklung, die sich auch in Hanoi vollziehen könnte“, meint Kurfürst. „In jedem Fall sind sich die urbanen Gärtner_innen in ihrer Rückbesinnung auf lokale Strukturen und auch von ihrem sozialen Hintergrund her ähnlicher, als es wohl viele hier im Globalen Norden vermuten würden.“

Von Bebero Lehmann

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  • Urbans Gärtnern in Hanoi, Vietnam, Foto: Sandra Kurfürst
  • Urbans Gärtnern in Hanoi, Vietnam, Foto: Sandra Kurfürst
  • Urbans Gärtnern in Hanoi, Vietnam, Foto: Sandra Kurfürst
  • Urbans Gärtnern in Hanoi, Vietnam, Foto: Sandra Kurfürst
  • Urbans Gärtnern in Hanoi, Vietnam, Foto: Sandra Kurfürst
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